Natürliche Familienplanung in der christlichen Erwachsenenbildung

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Natürliche Familienplanung ist en vogue. Und das weltweit. In den letzten Jahren hat es in diesem Bereich zahlreiche Neu- und Weiterentwicklungen gegeben. Das wachsende Interesse an dieser Methode geht einher mit dem steigenden Bewusstsein für Nachhaltigkeit, Ökologie und gesunder Lebensführung, das insbesondere heranwachsende Generationen bewegt. Ein Zentrum für NFP mit einem persönlichen Beratungs- und Bildungsangebot entspricht dem Zeitgeist. Doch wieso ist es im kirchlichen, noch dazu katholischen, Kontext sinnvoll?

„Natürliche Familienplanung“ ist laut WHO die gängige Bezeichnung für Familienplanungsmethoden auf der Grundlage der Beobachtung von physiologischen Veränderungen im weiblichen Menstruationszyklus. Deren Einordnung in eine fruchtbare und unfruchtbare Phase ermöglicht es, eine Schwangerschaft sowohl anzustreben als auch zu vermeiden. Allen Methoden gemein ist, dass sie nicht in das natürliche Zyklusgeschehen eingreifen, im Gegensatz zu hormonellen Verhütungsmethoden. Die moderne NFP ist eine symptothermale Methode. Auf Basis der täglichen Messung der Basaltemperatur sowie der Beobachtung der Veränderung des Zervixschleims begrenzt sie unter Beachtung bestimmter Regeln das fertile Fenster im Zyklus. Das hat den positiven Nebeneffekt, dass eine neue Vertrautheit und Körperkompetenz entsteht.

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Hierzulande allen bekannt aus dem Biologieunterricht ist die Knaus-Ogino-Kalendermethode. Diese Methode wird heute fälschlicherweise mit der Natürlichen Familienplanung in Verbindung gebracht und beschert ihr einen zweifelhaften RufWeitaus erfolgreicher in der tatsächlichen Empfängnisregelung waren die in der Folge entdeckten Erkenntnisse über den Zusammenhang von Eisprung und Temperaturentwicklung im Zyklus. Diese wurden schon in den 1930er Jahren vom katholischen Pfarrer Wilhelm Hillebrandt in seine seelsorgerische Beratung von Ehepaaren einbezogen, ein für die damalige Zeit exklusives Wissen. Nach weiteren 30 Jahren der Erforschung des weiblichen Zyklus und der Verknüpfung der Forschungsergebnisse war schließlich der Grundstein für die Natürliche Familienplanung von heute gelegt. Zeitgleich kam auch die Pille auf den Markt, die auf die Gestaltung der Sexualität von Mann und Frau maßgeblich Einfluss nehmen sollte und letztlich in die „sexuelle Revolution“ mündete. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit gelebter Sexualität ließ sich kaum noch verdecken und wurde in der hohen illegalen Abtreibungsrate offenbar. Zusätzlich drängte sich Sexualität aufgrund vielfältiger technischer Errungenschaften auch zunehmend bildstark in das Bewusstsein der Menschen und war Ende der 1970er Jahre längst als menschliches Grundbedürfnis etabliert. Das Festhalten der Katholischen Kirche an sämtlichen päpstlichen Verlautbarungen, welche die NFP-Methode als einzig vertretbare Ausnahme der Empfängnisregelung benannte – selbstverständlich nur für Ehepaare – wurde selbst von vielen Christ/inn/en als Zumutung und Eingriff in die Persönlichkeitsentfaltung empfunden. Und ignoriert. Darüber hinaus wurde auch von vielen Ärzt/inn/en und Wissenschaftler/inne/n die Sicherheit und Alltagstauglichkeit der Methodik angezweifelt. Erst mit dem Erstarken der Kritik an den Nebenwirkungen der Pille gelang es der NFP wieder in den Blick wissenschaftlicher Studien zu geraten. Den wichtigsten Qualitätssprung erreichte die NFP schließlich in den 1980er Jahren mit der wissenschaftlichen Studie zur Untersuchung der Bedingungen für eine sichere und autonome NFP-Anwendung in Deutschland. Heute zählt die Sensiplan®-Methode mit einem „Pearl Index“ von 0,4 zu den sichersten Verhütungsmethoden.

Bisher hatte die NFP keine andere Lobby als die Kirche – Aufschluss darüber gibt ein Blick in die Geschichte: Schon seit dem Altertum sind Bemühungen bekannt, durch eine entsprechende Planung des Sexualverkehrs auf die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit Einfluss zu nehmen. Dies galt sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. Jedoch brauchte es viele Jahrhunderte, bis die Erkenntnisse in der Medizin so weit gereift waren, dass sie als Grundlage für eine bewusste Trennung von gelebter Sexualität und Weitergabe menschlichen Lebens dienen konnten. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt es als gesellschaftlicher Konsens, maßgeblich geprägt durch den Einfluss des Christentums, dass Sexualität nur dem Zwecke der Vermehrung zu dienen habe, und dies ausschließlich im ehelichen Kontext. Der entstandene Eindruck der Leibfeindlichkeit in den Anfängen der Kirche bis zum Niederschlag in der christlichen Sexualmoral verfestigte sich über die Jahrhunderte.

In ihrer fast 40-jährigen Erprobungsphase wurde die Methode von Anwenderpaaren durchaus kritisch, wenn nicht sogar allergisch, reflektiert. Nicht selten habe ich gehört: „Unser NFP-Versuch heißt …“ Es folgte der Name des Kindes. In der heutigen Zeit erweckt diese Methode jedoch ganz neues Interesse. Es sind keineswegs ausschließlich kirchlich gebundene Personen, die sich dafür interessieren. Tatsache ist, dass Religiosität bei der Wahl einer Verhütungsmethode heute eine untergeordnete Rolle spielt. Eher sind es junge Frauen und Paare zwischen 20 und 30, die sich mit hormonellen Verhütungsmethoden kritisch auseinandergesetzt haben und diese aufgrund von tatsächlichen oder befürchteten Nebenwirkungen ablehnen. Es sind junge Menschen, die sich aus ökologischen Gründen und aus Begeisterung für Natürlichkeit und Partnerschaftlichkeit in der gemeinsamen Verantwortung für ihre Sexualität gegen die Einnahme hormoneller Verhütungsmethoden entscheiden. Die Einführungskurse werden überwiegend von unverheirateten Paaren und Frauen besucht. Selten lassen die Teilnehmer/innen eine religiöse Motivation erkennen und sie sind nicht wenig überrascht zu hören, dass die Kirche hinter diesem Angebot steht. Die Enthaltsamkeit in der fruchtbaren Phase, wie sie ursprünglich in der von der katholischen Kirche empfohlenen Methode betont wurde, wird nur von wenigen Paaren praktiziert. Die meisten Paare verlassen sich stattdessen auf die Sicherheit mechanischer Verhütungsmittel, womit die NFP aus Sicht vieler Anwender/innen eine alltagstaugliche und sichere Methode geworden ist.

Angesichts der zahlreichen Entwicklungen von Zyklus-Apps, die die starke Nachfrage nach alternativer hormonfreier Verhütung bedienen und andererseits dem Kinderwunsch junger Paare Erfüllung versprechen, feiert die schon obsolet geglaubte „Kalendermethode“ ein Comeback. Viele App-Anbieter geben dabei auch beinahe beiläufig Auskunft über die persönliche Fruchtbarkeit. Leider entspricht diese häufig auf Wahrscheinlichkeitsrechnung beruhende Ermittlung fruchtbarer Tage nicht den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Physiologie des Zyklus der Frau. So besteht die Gefahr eines großen Imageschadens für die NFP. Wer sich über dies nur oberflächlich mit den eigenen Fruchtbarkeitszeichen auskennt, unterliegt leicht dem Irrglauben, dass die persönliche Fruchtbarkeit von der App vorhergesagt werden kann. Die meisten von ihnen sind zum jetzigen Zeitpunkt weder für den Kinderwunsch noch die Verhütungsabsicht gut geeignet. Aus diesem Grund ist es nur verantwortungsvoll, Paaren in Form von kompetenten Beratungen, Seminaren und Workshops eine gewisse Körperkompetenz zu ermöglichen und sie auch in der Sexualbildung in ihrem Interesse an einem nachhaltigen Lebensstil zu unterstützen. In entsprechenden Workshops für Jugendliche ab 14 Jahren sollte Basiswissen zur Fruchtbarkeit und der Wirkungsweise von Verhütungsmethoden vermittelt sowie Impulse für eine gelingende Beziehung gegeben werden. Das MFM-Programm, welches von erfahrenen NFP- Berater/inne/n zur Jahrtausendwende entwickelt wurde, bietet eigens dafür standardisierte, wertorientierte Workshops an, die eine differenzierte Auseinandersetzung mit der erwachenden neuen Sexualität und einen wertschätzenden Zugang zu sich selbst und anderen ermöglichen.

Viele Jugendliche sind überrascht, mit welcher Offenheit Themen wie Sexualität und Partnerschaft innerhalb eines christlich basierten Menschenbilds thematisiert werden können. In diesem Sinne vermitteln die mit großer Anschaulichkeit und Lebensweltorientierung gestalteten Workshops ein anderes Bild der Kirche. Ihr Anliegen ist die Unterstützung einer positiven Persönlichkeitsentwicklung und eines verantwortungsvollen Umgangs mit dem eigenen Körper. Dabei werden die Jugendlichen unterstützt und ermutigt, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen. Auch die Möglichkeit einer natürlichen Empfängnisregelung mit dem Hinweis, dass diese aber erst erlernt werden muss, kommt im Workshop zur Sprache und weitet das Blickfeld für eine zukünftige Familienplanung.

Es gibt gute Gründe dafür, dass diese Methode der Empfängnisregelung im Bereich der christlichen Erwachsenenbildung vermittelt wird:

NFP zeichnet sich durch Partnerschaftlichkeit aus. Viele Paare haben heute den Anspruch eine gleichberechtigte Partnerschaft zu leben, auch in der Verantwortung für ihre Sexualität. Das Wissen um ihre „gemeinsame Fruchtbarkeit“ fordert das Paar heraus. Sexualität, das eigene Erleben und die eigenen Bedürfnisse werden vielfältiger und bewusster thematisiert und enttabuisiert.

Ein weiterer Aspekt ist die Ganzheitlichkeit. Das Leben in Einklang mit den Bedingungen der eigenen Körperlichkeit zu bringen, entspricht dem Wunsch nach Natürlichkeit. Paaren, denen ein Eingriff in das Fruchtbarkeitsgeschehen ihres Körpers zuwider ist, kann versichert werden, dass ein Kinderwunsch gute Erfolgschancen hat. Darüber hinaus ermöglicht die Beobachtung der Körperzeichen ein fundiertes Wissen über die eigenen, natürlichen Ressourcen und die Chance, auf Unregelmäßigkeiten im Zyklus reagieren zu können.

Und nicht zuletzt eröffnet auch der ökologische Aspekt der NFP – geringer Materialaufwand, keine umweltbelastenden Hormonersatzstoffe, verantwortlicher Umgang mit den natürlichen Ressourcen – ein zutiefst christlich motiviertes Handeln.

Bei Fragen zu Sexualität und Partnerschaft steht die Kirche, beispielsweise mit thematischen Jugendwochenenden, Ehevorbereitungsseminaren oder Seminaren für Hochschulgemeinden, als kompetente Gesprächspartnerin zur Verfügung:

In etwas mehr als der Hälfte der 27 katholischen Bistümer gibt es heute eine Stelle in der Erwachsenenpastoral, die sich, mit einem unabhängigen Berater/innen-Netzwerk von über 250 Personen deutschlandweit, für die Verbreitung der Methode Sensiplan® einsetzt. Dabei wird sie durch die Arbeitsgruppe NFP mit Sitz in Köln und der unabhängigen Expertinnengruppe „Sektion Natürliche Fertilität“ der deutschen Gesellschaft für gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin wissenschaftlich unterstützt.

Das sind längst nicht genug, um dem Bedürfnis nach einer selbstbestimmt gelebten Paarsexualität im ökologischen Zeitalter gerecht zu werden. Hier geht es darum, eine Sexualität zu leben, die, jenseits von Technisierung und Machbarkeitswahn, den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Vielleicht gelingt es der Kirche, den Graben zwischen der unverständlich gewordenen kirchlichen Sexuallehre und einer tragfähigen Lebenshilfe dadurch zu überwinden, dass sie das menschliche Grundbedürfnis nach Sexualität wieder in den Blick ihres pastoralen Handelns stellt!?